„Die IT ist Mitgestalter einer erfolgreichen Zukunft“

Interview mit Oliver von Ameln, Geschäftsführer der adesso insurance solutions GmbH

Eine Frage beschäftigt die Versicherungswirtschaft momentan ganz besonders: Wie gelingt der Branche der notwendige Transfer in die digitale Welt? Auch wenn schon vor einigen Jahren das „Ende des Papierzeitalters“ heraufbeschworen wurde, steht die Assekuranz beim Thema Digitalisierung noch ganz am Anfang. Eine besondere Herausforderung und gleichzeitig auch Chance wird es sein, ganz neue Geschäftsmodelle auf den Markt zu bringen, die die Digitalisierung erst möglich machen. Gar nicht so leicht für eine Branche, die gemeinhin als sehr tradiert gilt. Ein Vorurteil, das etwas zu kurz greift, meint Oliver von Ameln, Geschäftsführer der adesso-Tochtergesellschaft adesso insurance solutions GmbH, in einem Interview mit den Versicherungsforen Leipzig, das wir euch nicht vorenthalten möchten. Denn es besteht großer Handlungsbedarf für Versicherungen.

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Immer mehr Versicherer kündigen an, ihr Geschäft ins digitale Zeitalter überführen zu wollen. Gleichzeitig bescheinigen Studien immer wieder, dass die Branche in puncto Digitalisierung noch einiges aufzuholen hat. Wie schätzen Sie die aktuelle Entwicklung ein?

Die Versicherungsbranche wird in puncto Leading-Edge-Technology immer wieder gern als ein etwas verschlafenes Völkchen dargestellt, allerdings machen es sich die Kritiker hier zu leicht. Richtig ist, dass neue Technologien heutzutage erst relativ spät durch die Assekuranz-IT adaptiert werden. Dafür gibt es aber nachvollziehbare Gründe:

  • „Bleeding-edge-Technologien“ für den Endverbraucher sind zuerst im B2C-Umfeld zu finden, das eine einheitliche web-affine Kundenzielgruppe adressiert und dessen Geschäft ausschließlich im Netz mit überschaubar komplexen Geschäftsprozessen abgewickelt wird. Idealerweise sind auch die regulatorischen Voraussetzungen, z.B. zum Thema Datenschutz- und Datensicherheit, in dieser Branche nicht so stark reglementiert. Suchmaschinenbetreiber oder Anbieter für Social-Media-Plattformen haben es hier also deutlich leichter. Wenn mein Geschäft nur darin besteht, Werbemöglichkeiten und vielleicht noch Nutzerdaten zu verkaufen, kann und muss ich natürlich technologisch absolut hip sein. Und wenn mein Unternehmenssitz dann noch dazu irgendwo in der Wüste liegt, brauche ich mir auch nicht allzu viele Sorgen um die regulatorische Aufsicht zu machen. Personen- und Sachversicherungen in der DACH-Region als Risikoträger zu managen, ist eine ganz andere, sehr ernsthafte und seriöse Herausforderung, die von den reinen Technologiekonzernen übrigens bis heute nicht angenommen worden ist. Allen Untergangsbeschwörern zum Trotz.
  • Die Backend-Systeme für Bestandsführung und Leistungs-/Schadenmanagement müssen in der Lage sein, die neuen Technologien zu „verdauen“. Die Systeme der vorletzten Generation, und auch leider einige aktuelle Varianten, sind aber wahre Boliden der Komplexität und über viele Jahre weiterentwickelt. Die hohen Investitions- und noch höheren Anpassungskosten im zwei- teilweise sogar dreistelligen Bereich für die Kernsysteme machten es erforderlich, mitunter Jahrzehnte lang auf heute veralteten Technologien zu verweilen. Moderne, serviceorientierte und mit konsequenter Web-Technologie entwickelte Kernsysteme können diese Lücke schließen. Das setzt aber voraus, dass die Hersteller sich als Produktgeber verstehen und langfristige Weiterentwicklungsstrategien nicht nur versprechen, sondern auch organisatorisch nachweisen und vertraglich zusichern, um dem sonst üblichen Alterungsprozess von Systemen entgegenzuwirken. Die Versicherer ihrerseits müssen Veränderung und Anpassung der hauseigenen Systeme nicht als eine Reihe von Einzelprojekten verstehen, die alle Jahre mal wieder ins Haus stehen. Der technologische Fortschritt muss als Anlass zu stetigem Wandel auch in der Binnenorganisation verankert und verantwortlich besetzt werden.

 

In welchen Bereichen schlummern die größten Potenziale und wo sind die größten Hürden zu erwarten?

Erhebliches Wachstumspotenzial ist in den nächsten Jahren von neuen Versicherungsprodukten zu erwarten. Der Trend zum „pay as you go“ kann der Branche neuen Schub verleihen und neue Nachfrage produzieren, die zumindest hier den Verdrängungswettbewerb auflockert. Im PKV-Markt beobachten wir die ersten Überlegungen zu einem „pay as you live“; hier mag man geteilter Meinung über die gesellschaftlichen Auswirkungen sein. Aber sich gegen den Fortschritt zu stemmen, war schon immer ein schlechter Ratschluss, wenn man Wettbewerbsfähigkeit nicht sehr kurzfristig einbüßen möchte. Und tatsächlich schlummern auch in der Personenversicherung sehr interessante Produktvarianten, die  mit der Digitalisierung erst realisiert werden können.

Ausschnittdeckungen, die ereignisbezogen, spontan und unkompliziert abgeschlossen werden, werden einigen Versicherern nicht nur Umsatz, sondern auch erhebliches Ertragspotenzial bieten. Hier allerdings zählen nur Überlegungen, die in volldigitalen und weitestgehend automatisierten Prozessen abzuwickeln sind. Die Rechtsschutzversicherung, die unmittelbar vor oder nach dem Gebrauchtwagenkauf und nur für dieses Rechtsgeschäft mobil abgeschlossen wird, ist dafür ein schönes Beispiel. Hier müssen die Hürden bis zur automatisch und mobil erstellten Police extrem klein sein, allerdings dürfen die Prämienmargen auch deutlich komfortabler ausfallen. Besonders wenn man der Erste ist, der ein solches Produkt anbietet. Gerade in der Sachversicherung werden in der nächsten Zeit weitere Produkte aus dem Boden schießen; Versicherer mit einem großen Kollektiv können hier aktuariell gegenüber den teilweise branchenfremden Webanbietern die Nase vorn haben, vorausgesetzt, sie sind technisch und organisatorisch der Herausforderung gewachsen.

Mit der breiten Nutzung des Internets hat sich auch der Kunde verändert. Er ist informierter, selbstbestimmter und stellt höhere Anforderungen an die Services seines Versicherers. Was muss die Versicherungswirtschaft tun, um mit dem hybriden Kunden Schritt zu halten?

Es kann nicht das Ziel sein, mit dem Kunden Schritt zu halten. Es gilt vielmehr, hier selbstbewusst Akzente zu setzen und den Kunden durch Servicequalität positiv zu überraschen, seine Anforderungen zu übertreffen. Nur so schaffen wir es, etwas wie „Besitzerstolz“ für einen Versicherungsvertrag zu wecken, auch wenn das abwegig klingen mag.

Wie beim Eislaufen gibt es hier die Pflicht und die Kür:
Digitale Prozesse in der Leistungsbearbeitung, inklusive Statusanzeige und Self-Service-Funktionen darf man heute schon erwarten. Insbesondere die jüngeren Neukunden finden es befremdlich, für ihre private Krankenversicherung einen Umschlag mit Rechnungen zusammenstellen und zur Post bringen zu müssen. Das sind, neben der teilweise noch die persönliche Präsenz voraussetzenden Behördenkommunikation,  vielleicht die einzig verbleibenden analogen Prozesse für diese Generation. Eine Adressänderung ist bei vielen Kommunen schon heute online möglich, Versicherer müssen hier mindestens gleichziehen und einen echten, endgeräteunabhängigen Service rund um den Versicherungsvertrag bieten.

Bei der Kür sind wir schon bei echten Assistenzsystemen, wie wir sie in anderen Bereichen unseres Alltags kennen. Man kann heute Apple’s Siri ja nahezu alles fragen. Ähnlich einfach gestaltet müssen die User-Interfaces für die digitale Versicherungskommunikation werden. Die intuitive Nutzerführung von führenden Betriebssystemherstellern, und da ist Apple nur ein Beispiel, muss uns zeigen, wie der Kunde in der digitalen Welt gern kommunizieren möchte. Die nötigen Technologien beherrschen wir ja.

Zum Schluss ein Blick in die Glaskugel: Wie sieht Ihre Vision vom Versicherungsunternehmen der Zukunft aus? Wie kann die IT diesen Weg begleiten und was müssen Softwareentwickler mitbringen, um diese Vision mit Leben zu füllen?

In dem eher technokratisch geprägten Umfeld der Assekuranz-Informatik muss man da vorsichtig mit umgehen … da landet man schnell beim Facharzt …*lacht

Versicherungsunternehmen der Zukunft haben in meiner Vorstellung eine noch größere Bedeutung und durchdringen mehr Lebensbereiche als heute. Der Trend, vom reinen Kostenerstatter zum Servicepartner zu werden, wird sich konsequent fortsetzen. Die Kombination aus massenhafter, intimer Kenntnis der Kunden und ihrer Lebenssituationen, gepaart mit einem persönlichen (Vertriebs-)Netzwerk ist ein Alleinstellungsmerkmal, das auch von den größten Internetkonzernen nicht so leicht zu kompensieren ist. Und deren Methoden und Technologien adaptieren wir. In Zukunft werden innovative Serviceversicherer noch früher in Kauf- und Entscheidungsprozesse einbezogen, insbesondere wegen der Fähigkeiten als Scout im Qualitätsdickicht der Leistungserbringer. Die IT wird für die Versicherungsunternehmen in Zukunft nicht wichtiger als heute, aber sie wird als weniger störend empfunden, sondern immer zum Mitgestalter einer erfolgreichen Zukunft. Die richtige IT sitzt halt mit am Tisch und inspiriert das Produktmanagement, den Vertrieb und die weiteren Fachabteilungen durch einen Kanon an Möglichkeiten.

Softwareentwickler und IT-Berater mit Versicherungshintergrund sollten sich nicht allein auf ihre Methoden- und Technologiekompetenz verlassen, sondern sich ganz bewusst auch mal für die organisatorischen Hintergründe von erfolgreichen Softwareunternehmen á la Apple und Co. interessieren. Da gibt es z.B. einen „Chief Design Officer“, also jemanden, der auf „C-Level“-Ebene das Thema Nutzerinteraktion denkt und verantwortet. Das scheint also wohl wichtig zu sein.

 

Über das Unternehmen: adesso AG

Erfolgreiches Geschäft entsteht durch innovative Ideen, solide Technologien und eine kostengünstige Realisierung des IT Betriebes. Immer sind Menschen beteiligt, die dies zusammenbringen. adesso sorgt als unabhängiger IT-Dienstleister durch Beratung und Softwareentwicklung sowie IT-Betriebskostenoptimierung für den Erfolg der Projekte, die Unternehmen auf die Zukunft vorbereiten.

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